Zeitzeugenbesuch der 9. Klassen

Am 07.05.2014 besuchte Frau Shafran die 9.Klassen der TFS. Sie wurde am 14. Januar 1923 in Berlin- Charlottenburg, unter dem Taufnahmen Inge Helga Kaufmann, geboren. Sie lebte zu Zeiten des 2. Weltkrieges und erlebte sowohl den Anfang als auch das Ende des Krieges mit. Sie selbst war Jüdin gewesen, nun ist sie Atheistin, und floh vor der NS-Regierung nach Frankreich.

Die 115 Schüler der 9. Klassen sind in der Bibliothek versammelt und warten gespannt auf die 91 jährige Zeitzeugin Germaine Shafran. Währen die Schüler noch in ihre Unterhaltungen vertieft sind, tritt die alte Dame, zusammen mit Frau Pohlen, in die Bibliothek ein. Als die Schüler sie bemerken tritt wie von selbst Ruhe ein. Frau Shafran setzt sich auf den für sie vorgesehenen Platz und fängt an sich vorzustellen. Unteranderem erklärt sie uns den Grund, weshalb sie sich dafür entschlossen hat, als Zeitzeugin von Schule zu Schule zu gehen. Sie möchte nicht nur ihre Lebensgeschichte schildern und so den Schülern einen Einblick in die damaligen Lebensverhältnisse verschaffen, sonder auch für eine friedliches Zusammen leben ohne Rassismus und Rassentrennung kämpfen, und uns erklären, wie wichtig es ist zusammenzuhalten.

Nach ihrer Vorstellung beginnt sie uns von ihrer Kindheit und ihrem Lebensverlauf zu erzählen, nur unterbrochen von  einigen Fragen der neugierigen Schüler. Hier eine kurze Zusammenfassung :

Während ihrer Kindheit lebte Germaine Shafran (zu dieser Zeit noch als Inge Helga Kaufmann) in einem wohlhabenden Elternhaus in Berlin. Ihr Vater, Fritz Kaufman, arbeitete als Regisseur, welchen sie deshalb nur selten sehen konnte. Ihre Mutter, Ada Kaufman war Gesellschaftsdame*und ebenfalls nur selten im Haus. Ihre Eltern und Großeltern, welche beidseitig Juden waren, gaben sich nicht weiter mit dem Judentum ab, so dass sie in ihrem Elternhaus nie etwas über das Judentum erfuhr. Zuzeiten ihrer Kindheit gab es eine große Inflation**. Die meisten Leute lebten in großer Armut. Teilweise sangen sie in den Höfen von wohlhabenden Leuten um ein wenig Geld aus dem Fenster geworfen zu bekommen.

Die Judenfeindlichkeit wurde erst langsam erkennbar.  Angefangen hatte alles im Jahre 1929 nachdem Hitler an die Macht kam. Fritz Kaufman, ihr Vater, durfte beispielsweise keine Filme mehr unter seinem Namen herstellen, sondern musste seinen Namen durch den eines Strohmannes *** ersetzen.

1933 war aber das entscheidende Jahr wo alles begann. Es war der 21. März an dem Germaine Deutschland für lange Zeitverlassen sollte:

Ihr Vater war zum Friseur gegangen um sich seinen Bart rasieren zu lassen. Als er sich in den Friseurstuhl setzte, sah er neben sich ein Mann in Nazi-Uniform sitzen, er erschrak, konnte den Mann aber nicht erkennen, da sein Gesicht mit Rasierschaum bedeckt war. „Kaufmann“, sagte der Mann, und er erkannte die Stimme eines befreundeten Schauspielers „Sie noch hier?“ Kaufmann verstand nicht ganz was er ihm damit sagen wollte und wartete , als er fertig rasiert war, vor dem Geschäft auf den Schauspieler. Als dieser kam erzählte er ihm: „Ich weiß aus sicherer Quelle, dass morgen die Pässe der Juden eingesammelt werden. Fliehen sie solange sie noch können.“

Und das tat er! Er hatte vor, mit seiner Familie nach Frankreich zu reisen. So schnell es ging benachrichtigte er Germaines Mutter, Ada, und besorgte Pässe für sie und seine Tochter. Ada holte sie so schnell es ging von einer Freundin ab und brachte sie nach Hause. Als sie erfuhr, dass sie nach Frankreich fuhren freute sich Germaine zunächst sehr, dennoch merkte sie, dass mit ihren Eltern etwas nicht stimmte. „Du darfst nur eine Puppe mitnehmen!“, so lautete der Vorsatz ihrer Eltern. Ihre Großeltern und die anderen Verwandten hielten nichts davon und wollten sie auch zunächst nicht gehen lassen, sie meinten, dass diese Zeit vorbei gehen würde. Doch ihr Vater hielt nichts davon.

Nur mit einem Handkoffer bepackt, überschritten sie die Grenze nach Frankreich.

Kurz nach der Ankunft in Frankreich wurde Germaine sehr krank, sie verbrachte 3 Monate im Krankenhaus. Es soll eine furchtbare Zeit gewesen sein. Ihre Mutter besuchte sie jeden Tag, aber das war ihr einiger Trost. Sie sprach, genau wie ihre Mutter, kein Wort Französisch und konnte sich so mit niemandem verständigen.

Nach ihrem Krankenhausaufenthalt beschlossen ihre Eltern sie in die Schule zu schicken. Einige Tage vor Schulbeginn kam ihr Vater zu ihr und sagte: Wir leben jetzt in Frankreich. Unsere Heimat ist da wo wir leben. Hier spricht man Französisch, also lerne so viel du kannst. Du bist hier zu Hause. Und du sollst nicht auffallen, ich gebe dir einen neuen Namen, einen Französischen. Du bist hier zu Hause.“  Seiddem heißt sie nicht mehr Inge Helga Kaufmann sondern Germaine Shafran. Diesen Namen hat sie auch bis heute noch behalten.

Germaine ging nun wie ein normales Schulmädchen in die Schule und lernte schnell französisch. Trotz mancher beleidigenden Worte gegen Deutsche hatte für sie einen angenehmes Leben begonnen. Die einzige die sich aus ihrer Familie noch nicht wohlfühlte war Germaines Mutter. Sie sprach kaum ein Wort Französisch und hatte auch keine Freunde.

1934 kam ihre Großmutter väterlicherseits nach Paris nachgereist. Germaine hatte nie ein gutes Verhältnis zu ihrer Großmutter gehabt, dennoch war sie es, die ihrer Enkelin die Lehre ihres Lebens erteilte:  „Mein Kind, auf dieser Welt gibt es keine Sicherheit. Man kann dir alles nehmen. Aber was du in deinem Kopf hast das kann dir keiner nehmen. Also lerne, das ist alles was sicher bleibt. Du bist da, nur du bist wichtig, nur du kannst dir helfen sonst vielleicht keiner.“ 

Nach Beginn des 2. Weltkrieges, als Frankreich und England Deutschland den Krieg erklärten, musste sich Germaines Familie bei dem Staat melden. Dort wurden sie aber nicht als Juden anerkannt sondern als „Heimatlose Deutsche“. Dies war die Zeit in der ihr Vater krank wurde. Er musste ins Krankenhaus und operiert werden. Doch am Vortag der Operation passierte etwas schreckliches. Ihre Mutter Ada starb an einem Gasunfall in der Küche. Für die damals gerade erst 16 Jährige Germaine war dies ein furchtbares Ereignis. Als sie in das Krankenhaus kam, sagte der Doktor, sie solle sich eine Ausrede einfallen lassen. Als sie aber auch am nächsten Tag ohne die Mutter ins Krankenhaus kam, wusste der Vater was passiert war, ohne nachzufragen. Mit der Hilfe der Nachbarin schafft sie es ihre Mutter zu beerdigen.

Kurz nach diesen Ereignissen, am 15.5.1940, mussten sich Germaine und ihr Vater als„Heimatlose Deutsche“  melden und wurde in zwei verschiedene Lager gebracht, Germaine kam in ein Frauenlager, in der Nähe von Paris.

Im Juni 1940 wurde sie in das Lager Gurs, ein Internierungslager****, verlegt. Sie hatte das große Glück, nach 3 Monaten wieder frei zu kommen. Etwas später schafte sie es ebenfalls ihren Vater zu befreien. Mit Hilfe von amerikanischen Verwandten schafften sie und ihr Vater es schließlich nach Amerika zu gelangen.

Frau Shafran schrieb später ein Biographie über ihr Leben, welche nur zu empfehlen ist. Das Buch trägt den Titel: Never say die!

* ging nicht arbeiten sondern traf sich mit Freunden im Café.

** eine Zeit in der das Geld immer wertloser wird da zu viel gedruckt wird.

*** Jmd. dessen Namen statt des Namens des echten Regisseurs unter den Film geschrieben wird.

****abgegrenzte Räume, mit viel Stacheldraht dass man nicht fliehen kann : Freiheitsentzug.

(Karla Pfuhl)